Großes Interesse an der Online-Veranstaltung „Stress am Hof“, bei der Betroffene über ihren Weg aus Überlastung und Depression berichteten.
Alles ist sinnlos, das letzte Fünkchen Hoffnung schwindet und an Schlaf ist kaum mehr zu denken. Tagsüber funktioniert man nur noch, doch die Arbeit wächst einem zunehmend über den Kopf. Dann braucht es nur noch eine Kleinigkeit, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. So schilderte Carola Müller-Arnold ihre Lebenssituation vor 15 Jahren, als die Bäuerin nach der Geburt des dritten Kindes in eine Erschöpfungsdepression schlitterte - ohne zu ahnen, was mit ihr geschah. Heute arbeitet sie als ehrenamtliche Beraterin bei der Ländlichen Familienberatung Würzburg (LFB) und hilft Menschen, Wege aus solchen Krisensituationen zu finden.
Müller-Arnold war Gesprächspartnerin bei der Online-Veranstaltung „Stress am Hof“ am Donnerstag, 10. November, bei der sie ebenso wie der ebenfalls von Depression betroffene ehemalige Landwirt Christoph Rothhaupt über ihre Lebenskrise und den Weg daraus berichtete. Und das Interesse war riesig: 150 Teilnehmende hatten sich anonym bei der eineinhalbstündigen Veranstaltung eingewählt, an der mit der Psychiaterin und Bäuerin Karen Hendrix auch eine ausgewiesene Fachfrau teilnahm. Sie betreut in der Psychosomatischen Klinik Simbach am Inn vor allem Bäuerinnen und Bauern mit psychischen Erkrankungen.
„Es gibt viele, die nicht mehr können,“ betonte Hendrix. „Der Lack muss glänzen, auch wenn der Motor kaputt ist“, umschrieb sie die Situation bildlich. Sie riet dazu, wenn der „Körper, die Seele und der Kopf weh tun“, sich Hilfe zu holen. „Das ist keine Schande“, machte sie deutlich. Und Christoph Rothhaupt ergänzte: „Mit einem gebrochenen Arm gehen wir sofort zum Arzt“, genauso solle man sich bei Erschöpfung und Überlastung das Gespräch mit anderen zu suchen.
Ansprechpartner können in solchen Fällen der Hausarzt sein wie bei Carola Müller-Arnold, Psychologen, Freunde oder auch Beratungsdienste wie die LFB Würzburg, wie deren Leiter Wolfgang Scharl darlegte. Die haupt- und ehrenamtlichen Berater sind gut ausgebildet und kennen die Situation von Landwirten aus eigener Erfahrung.
Dabei ist es mitunter gar nicht so einfach, die Vorboten einer Überforderung zu erkennen. Christoph Rothhaupt hat körperlich abgebaut, er fand kaum noch Schlaf, die Gedanken rasten durch seinen Kopf und er erreichte seine Ziele nicht mehr, obwohl er mehr arbeitete als zuvor. Carola Müller-Arnold berichtete, dass sie sich total verzettelt hat und immer öfter Wutausbrüche bekam. „Es ist ein Riesenfrust mit der Familie, mit der Arbeit und sich selbst“, fasste Karen Hendrix die Erfahrungen ihrer Patienten zusammen. Dazu kommt, dass Betroffene keinen Ausweg aus ihrer Lage sehen, sie agieren wie in einem Hamsterrad, aus dem es kein Entkommen gibt.
Dabei genügen mitunter kleine Veränderungen wie eine längere Auszeit, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Für Christoph Rothhaupt war es ein Gespräch mit einer Beraterin der LFB Würzburg, die ihm die Frage stellte, ob für ihn auch ein Leben ohne Kühe denkbar wäre. „Auf die Idee bin ich selbst nicht gekommen“, erklärte Rothhaupt. Wichtig ist es, so Karen Hendrix, sich einzugestehen, dass es nicht so ist, wie es sein sollte. „Und dann ist es besser, zum Telefon zu greifen anstatt zum Kälberstrick“. Der erste Schritt, so Christoph Rothhaupt, ist dabei der allerwichtigste.
Carola Müller-Arnold riet, den Betrieb nicht „auf Spitze und Knopf zu organisieren“. Sonst besteht die Gefahr, wenn z.B. jemand krank wird oder etwas Außergewöhnliches passiert, dass alles den Bach runter geht. Karen Hendrix: „Es gibt immer eine Möglichkeit, etwas zu verändern.“ Dass es sich lohnt, Hilfe in Anspruch zu nehmen und die eigene Situation neu zu gestalten, fasste Christoph Rothhaupt so zusammen: „Ich bin heute ein anderer Mensch. Ich bin nicht mehr der Betrieb Rothhaupt, sondern Christoph. Man kann lernen, mit der Krankheit umzugehen.“
Veranstalter der Online-Runde „Stress am Hof“ waren die Ländliche Familienberatung für Landwirtschaft, Wein- & Gartenbau der KLJB und KLB in der Diözese Würzburg sowie der Verband für landwirtschaftliche Fachbildung in Bayern e.V., Bezirksverband Unterfranken. Für sofortige Hilfe können sich Betroffene direkt an die Ländliche Familienberatung der Diözese Würzburg unter Tel. 0931 / 386 63 725 wenden.
Sie können die gesamte Online-Veranstaltung auch nachträglich nochmals ansehen. Leider ist die Bildqualität des Videos recht schlecht. Außerdem bleibt das Bild mehrmals längere Zeit stehen. Die Tonqualität ist jedoch gut. Das Wichtigste kommt also auf jeden Fall rüber.