Lilli Büttner verbringt ein Freiwilligenjahr im Senegal und erzählt von ihren Eindrücken nach den ersten Monaten.
Als wir um halb sechs Uhr morgens aus dem Flughafen treten, schlägt uns warme, schwüle Luft entgegen, die nicht ganz so heiß ist wie erwartet. Das Auto, das uns abholt, ist im Kontrast dazu mit Hilfe einer Klimaanlage deutlich heruntergekühlt. Wir - das sind Philipp und ich, die gerade in das Abenteuer "ein Jahr Freiwilligendienst im Senegal" starten. Eigentlich habe ich mir vorgenommen, auf der zweieinhalb-stündigen Fahrt vom Flughafen in unseren Einsatzort Kaolack bei einem kleinen Nickerchen Energie zu tanken, doch es ist viel spannender zu beobachten, was an meinem Fenster vorbeizieht: Bäume, die ich nur vom Hören und von Bildern kenne, Kleider in den buntesten Farben, Esel und Pferde, die Karren ziehen, auf denen Menschen sitzen. In den Dörfern, die links und rechts der Nationalstraße angesiedelt sind, werden Nüsse, gebackene Maiskolben und Obst an die vorbeifahrenden Autos verkauft. Durch meine Hautfarbe falle ich hier auf, immer wieder bemerke ich durch die Fensterscheibe neugierige Blicke. Eine ganz neue Erfahrung, die in den kommenden Monaten nicht immer angenehm, aber ich denke trotzdem sehr wertvoll sein wird. Und schließlich ist meine eigene Neugierde gegenüber diesem Land und der fremden Kultur ebenso riesig.
Philipp und ich sind im "Royaume d'enfance" (= Königreich der Kindheit) in Kaolack untergebracht, ein Zentrum, in welchem Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen und egal welcher sozialen Herkunft zusammenkommen können. Bei Basketball, Fußball, Karate oder beim Austoben auf dem Spielplatz ergeben sich für uns gute Gelegenheiten, schnell erste Bekanntschaften zu machen und dabei ein paar Worte Wolof zu lernen.
Wolof ist die am weitesten verbreitete Sprache im Senegal und wird von den meisten als Erst- oder Zweitsprache gesprochen - anders als Französisch, die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht, die in der Schule gelernt oder in manchen Situationen im Alltag aufgeschnappt wird. Dazu kommt eine Vielzahl weiterer Sprachen der unterschiedlichen Ethnien in der senegalesischen Bevölkerung. Die Mehrheit der Kinder wächst also mehrsprachig auf und kann sich schon in jungem Alter verschieden verständigen.
Das kann ich von meinem Französisch bei meiner Ankunft leider noch nicht behaupten. Mit den Englisch- und Lateinkenntnissen aus meiner Schulzeit komme ich im Senegal nicht allzu weit, weshalb ich in den acht Monaten vor der Ausreise die Herausforderung angenommen habe, Grundkenntnisse der französischen Sprache neu zu lernen. Inzwischen kann ich in den meisten Alltagssituationen erfolgreich eigenständig kommunizieren und sogar tiefere Gespräche über Kultur und Politik führen. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen ich mit meinen aktuellen Vokabel- und Grammatikkentnissen nicht weiterkomme, was schon mal Frustration schaffen und auf Unverständnis stoßen kann. Doch die meisten Menschen in meinem Umfeld unterstützen mich beim Lernen und tragen dazu bei, dass ich in Gesprächen immer besser verstehe und mich selbst besser verständigen kann.
Du möchtest dranbleiben und erfahren, was ich die kommenden Monate erlebe? Dann folge dem Instagramaccount @kaolack.de von Philipp und mir. Schau doch auch mal bei unserem Podcast vorbei (wuelisworldwide auf Spotify), wo wir noch genauer von unserem Freiwilligendienst im Senegal erzählen. Dort kannst du auch von anderen Freiwilligen in Tansania und Kolumbien hören. |
Da meine Einsatzstelle in der Schule College Pie XII erst Anfang Oktober beginnt, ist in den ersten Wochen noch Zeit, in Ruhe den Ort kennenzulernen, an dem Philipp und ich die nächsten zwölf Monate verbringen werden. So nimmt uns der Leiter der Caritas mit nach N'dibèl, ein Dorf 30 km von Kaolack entfernt, wo unsere Entsendeorganisation KLB (Katholische Landvolkbewegung), eine Landwirtschaftsschule unterstützt. Hier werden Bauern und Bäuerinnen sowie Tierärzte und -ärztinnen aus- und fortgebildet. Mit den Hühnern und Kühen vor Ort kann das Wissen dann gleich in der Praxis angewendet werden.
Außerdem haben wir die Möglichkeit, vier Tage bei einem Camp für katholische Studierende dabei zu sein, wo wir viele junge Menschen kennenlernen und erste Freundschaften schließen. Immer wieder machen wir viele nette Bekanntschaften, bei denen wir die senegalesische Gastfreundschaft erleben. Bei einem Besuch flicht mir eine Freundin spontan die Haare zu kleinen Zöpfen, wie sie hier viele Mädchen und Frauen tragen. Was im Westen als kulturelle Aneignung wahrgenommen wird, sorgt hier für viele Komplimente.
Eine Familie lädt mich zu einer Familienfeier mit traditioneller Musik und Tanz ein und schenkt mir sogar eine Taybass. So nennt man eine Art von traditionellem senegalesischem Kleidungsstück für Frauen.
Mitte Oktober erreicht uns dann eine überraschende Einladung der deutschen Botschaft in der Hauptstadt Dakar. Der Anlass ist der Besuch einiger deutscher Politiker, die von der Bundesrepublik geförderte Projekte im Senegal und weiteren westafrikanischen Ländern besuchen. Dass eine enge Freundschaft zwischen Deutschland und dem Senegal besteht, erleben wir auch im Alltag immer wieder, zum Beispiel wenn wir Menschen begegnen, die einige Worte Deutsch sprechen oder mit Begeisterung unsere Sprache lernen wollen.
Eine derartige Motivation herrscht auch in meiner Einsatzstelle, einer Schule vom Vorschulalter bis zum Abschluss. Hier darf ich verschiedene Bereiche kennenlernen und mich auf unterschiedliche Weise während meines Freiwilligenjahres einbringen. Zum Beispiel gebe ich in den Freistunden motivierten Schülern und Schülerinnen Deutschunterricht oder unterstütze die Administration. In den Pausen werden dagegen die Schüler zu meinen Lehrern, wenn sie mir neue Wörter und Sätze auf Wolof beibringen.
Vielmehr als die Einladungen zu besonderen Veranstaltungen sind es diese Eindrücke des Alltags, die bereits die ersten Monate meines Freiwilligendienstes zu einem aufregenden Erlebnis gemacht haben. Jeden Tag lerne ich etwas Neues aus der senegalesischen Kultur kennen, sei es ein neues Wort, ein Gericht, oder die senegalesische Téranga, welche die Gastfreundschaft und Generosität der Senegalesen beschreibt.
Gleichzeitig gibt es auch Situationen, die für die Menschen hier ebenfalls zum Alltag gehören, mich jedoch betroffen machen und zum Nachdenken bringen. Wenn ich beobachte wie Schüler in der Schule mit der Hand auf die Wange geschlagen werden, weil sie dadurch angeblich besser erzogen werden, oder durch einen Klaps mit dem Stock auf den Kopf einen grammatikalischen Fehler vermeintlich nicht wiederholen.
Wenn ich durch die Straßen oder über den Markt laufe, sehe ich Erwachsene sowie kleine Kinder, die um Geld und Essen betteln. Die Gründe hierfür kann ich nur erahnen. Vielleicht sind es fehlende Arbeitsplätze, Krankheit oder Tod in der Familie, die Menschen zum Betteln und einem Leben auf der Straße zwingen, weil es kein ausreichendes Hilfesystem zu geben scheint. Gleichzeitig zeigt sich hier aber wieder die Generosität und Unterstützung der Gesellschaft, wenn andere durch kleine Geldbeträge und etwas Essen helfen.
Eines Abends nach einer Feier im Royaume d'enfance unterhalte ich mich mit einem Mann, der die geliehenen Stühle auf ein Lastenmotorrad lädt. Er erzählt mir davon, dass er selbst als Kind auf der Straße gelebt hat und durch Zufall und den guten Willen eines anderen heute auf seine Familie und seinen Beruf blicken kann. Es gibt also durchaus auch einzelne positive Wendungen.
Und schließlich spüre ich hier auch, wie der Glaube den Menschen Kraft und Hoffnung für die Schwierigkeiten des Alltags gibt und Menschen zusammenbringt. Ob am Sonntag nach dem Gottesdienst, in den vielen katholischen Verbänden oder bei einem Fest in der Gemeinde (von denen es fast jedes Wochenende eines gibt), Alt und Jung sind dabei, packen mit an, tanzen und lachen gemeinsam. Ich erlebe eine Lebendigkeit, die ich so von Kirche davor nicht kannte, und das steckt an.
Und es spielt auch gar keine Rolle, ob Islam oder Christentum, denn man sucht nicht, was trennt, sondern was verbindet.
Was ich also aus meinen ersten fünf Monaten, die ich bis jetzt im Senegal verbracht habe mitnehme? Die Herzlichkeit der Menschen im Alltag, ihre Gelassenheit (von der wir Deutschen uns etwas abschauen können), die Lebendigkeit des Glaubens, die Kulinarik, die ich mit Freude verkosten darf und an der ich mich schon selbst versucht habe. Ich habe gelernt, dass kein Ort perfekt ist, aber dass wir unterschiedliche Kulturen viel voneinander lernen können und dass gerade deshalb der Austausch untereinander so wichtig ist. Ich freue mich also auf neun weitere Monate, die sicher mindestens genauso reich an Erfahrungen sein werden.
Text und Bilder: Lilli Büttner
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